Nach Verletzungen wieder ins Lauftraining zurückzukommen, ist physisch und psychisch mühsam. Bei mir waren es 8 Monate. Alles auf Anfang. Von m(einer) Chance, nochmal laufen zu lernen
Prolog
"Werde ich je wieder so laufen können, wie vor meiner Verletzung?" Diese Frage stelle ich mir seit August 2022 jeden verdammten Tag. Manchmal ist die Stimme in meinem Kopf leiser die versucht, mir das Leben schwerer zu machen. Manchmal ist sie jedoch sehr laut, sodass ich mich selbst nicht mehr hören kann. Manchmal antworte ich der Stimme schreiend: "Es ist mir egal, was du sagst!" – manchmal sage ich ihr auch ganz leise zurück: "Nein, ich denke nicht. Die alten Laufzeiten sind vorbei". Manchmal weine ich dann. Manchmal lächle ich sanft mein eigenes Spiegelbild an und sage: "Hey, wir schaffen das. Alles auf Neuanfang."
Wie fange ich nach einer Laufpause wieder mit dem Laufen an?
Ich bin ehrlicherweise sehr froh, dass ich diese Headline Wort für Wort schreiben kann. Denn ja – ich kann und darf nach meiner Laufpause wieder anfangen. Wenn ihr euch jetzt fragt "Ja gut, das war mir klar, nach einer Pause geht es ja irgendwann weiter", dann möchte ich euch sagen: Da seid ihr euch sicherer gewesen, als ich es in den ganzen letzten Monaten war.
Ich hatte oder habe Probleme mit dem rechten Fuß. Den Sehnen, der Wade, dem Sprunggelenk – irgendwie mit allem. Ich schätze es war die Folge meiner Bänderzerrung, die ich nicht zu 100% auskuriert und viel zu schnell wieder mit dem Laufen angefangen habe. Die Überlastung führte zu einer Entzündung. Alle Sportler:innen wissen, wie langwierig Entzündungen sein können. Entzündungen an den Körperstellen, die täglich belastet werden, dauern ungefähr 10x so lang – wenn sie nicht chronisch werden.
Den Rest erspare ich euch an dieser Stelle – denn wir wollen ab sofort gemeinsam nach vorne Blicken. Mehr Informationen zu meiner Laufverletzung könnt ihr in diesem Blogbeitrag lesen: Das Laufen wieder lieben lernen – mein Weg zurück nach einer Laufverletzung.
Jetzt gilt: Alles auf Neuanfang. Wie fängt man also nach einer Verletzung wieder mit dem Laufen an? Simpel gesagt: Loslaufen.
Welcher Trainingsplan ist nach einer langen Laufpause gut?
Der beste Trainingsplan nach langen Laufpausen fängt im Kopf an. Mentaltraining für Läufer:innen sollte nicht nur vor, während und nach dem Laufen stattfinden, sondern vor allem in den schwierigsten Zeiten. Der erste Lauf beginnt im Kopf. Auch der zweite, der dritte, der vierte ...
Meine Motivation war unfassbar groß, meine Angst aber noch größer. Wie gehe ich mit plötzlichem Schmerzempfinden beim Laufen um? Wie schnell soll und darf ich starten? Wann merke ich, dass der erste Lauf nach einer monatelangen Verletzung doch zu früh war? Mit diesen Gedanken habe ich versucht umzugehen und Lösungen zu finden. Denn je länger mein Körper pausieren musste, wurde nicht mehr er zu meinem Feind, sondern meine Gedanken. Die Psyche. Ich versuchte, mir den Druck rauszunehmen und der Angst keine Chance zu geben. Ich wollte all das, was mich mit dem Wiedereinstieg ins Laufen erwarten würde, als neue Chance sehen. Und wie oft im Leben bekommt man wirklich eine neue Chance? In meinen Gedanken versuchte ich die lange Laufpause in etwas Positives umzukehren. Zudem nahm ich das Wort "Pause" wortwörtlich: Wo eine Pause ist, ist auch ein Weitermachen. Oder in meinem Fall: ein Neuanfang.
Warum ich von einer neuen Chance spreche? Weil sich der Wiedereinstieg ins Training als sehr schwierig gestaltet(e): Es war dieses Mal keine Erkältung, kein Corona, keine Shin Splits oder kein Muskelfaserriss, was mich eine Laufpause gekostet hat. Es war etwas undefinierbares von dem ich nicht wusste, ob es jemals wieder gut wird. Mit jedem Schritt merkte ich meinen Fuß, diese Instabilität im Fußgelenk, das fehlende Gefühl in allem, wie ich lief. Ich verkrampfte ständig und konzentrierte mich darauf, den Abstoß so gering wie möglich zu halten. Ich hatte einfach Angst. Und diese Angst lief die ersten 3-4 Wochen mit. Was für ein psychischer ein Stress.
Nach langer Pause wieder laufen: 5 Tipps für den Wiedereinstieg
Okay, Butter bei die Fische – wie gelingt ein guter Wiedereinstieg ins Lauftraining? Meine 5 persönlichen Tipps:
Mentale Stärke aufbauen Ich habe es eben schon erwähnt: geht mit euch nachsichtig um und vertraut eurem Laufgefühl. Der Kopf spielt uns ganz oft Streiche und wir lernen nur damit umzugehen, indem wir zuhören. Sorgen und Ängste sind absolut in Ordnung, sollten beim Laufeinstieg aber nicht die Oberhand einnehmen.
Minimale Ziele setzen Fangt so klein an wie nur möglich. Ich habe mir von meinem Osteopath einen Trainingsplan geben lassen, der einen Umfang von 15 Minuten vorgesehen hat – davon nur 30 Sekunden laufen, 1:30 min gehen. Das war's. Das Tempo spielt keine Rolle. Geduld dafür umso mehr. Der Weg ist hier ausnahmsweise mal das Ziel.
Alleine laufen gehen Ich laufe schon immer lieber alleine. Um mich voll und ganz auf meinen Körper konzentrieren zu können und so flexibel wie nur möglich zu sein, laufe ich nach einer Laufpause alleine wieder los. Dieser Tipp ist natürlich nicht für jede:n das Richtige.
Regeneration beachten Ganz gleich, wie gut oder schlecht dein erster Lauf war – halte dich an die Regeneration. Das gilt auch, wenn du nach einer Verletzung "nur" 5 Minuten laufen warst. Dein Körper benötigt Zeit, sich an die Belastung erneut zu gewöhnen. Stretching und dehnen nicht vergessen – vor allem bei Beschwerden der Sehnen Fuß.
Sich über den ersten Lauf freuen Auch hier gilt: Freue dich über deinen ersten Lauf. Auch wenn du währenddessen feststellen musst, dass es nicht so gut lief (das war bei mir der Fall), sei stolz auf dich. Du hast es versucht kannst mit neuen Erkenntnissen in deinen nächsten Laufversuch starten.
Die 3 Phasen des Comebacks beim Wiedereinstieg ins Laufen
It's a new chance, it's a new day – oder wie ich selbst oft zu sagen pflege: #comebackdifferent.
Am Anfang hält man an dem Gedanken fest, dass man nach einer Verletzungspause wieder zu seiner alten Form zurückfinden wird. Es kann ein paar Wochen dauern, aber mit dem richtigen Trainingsplan sollte dem Einstieg nichts im Wege stehen – so die Theorie. Dass die "paar Wochen" ziemlich lang werden können und von Höhen und Tiefen begleitet werden, machte sich bei mir in der Praxis bemerkbar. Ich war voller Motivation, meine Laufschuhe endlich wieder schnüren zu dürfen. Wo wir bei der ersten Phase wären:
1. Viel Motivation und viel Lauf-Umfang
Ich hatte richtig Lust auf das Laufen – das Gefühl, auf meine Laufroute und die runnerfeelings danach. Also lief ich los. Langsam und behutsam mit Gehpausen. Aber: 15 Minuten vergehen ganz schön schnell. Ich wollte nicht, dass das Gefühl sofort wieder vorbei war und dehnte die erste Trainingseinheit aus – auf ganze 45 Minuten.
Viel zu lang nach einer Verletzungspause! Und was soll ich sagen: natürlich fand mein Fuß das gar nicht lustig. Einen Tag später tat er weh. Nichts im Vergleich zu den Monaten vorher, aber er tat weh.
2. Realitätscheck und wenig Lauf-Umfang
Ich bemerkte, dass die Beschwerden zwar nachließen, aber noch präsent waren. Ignorieren wollte ich sie auf keinen Fall. Ich war frustriert, dass der erste Versuch eher semi-gut lief. Es folgte ein Motivationstief und ich stellte meine Läufe hinten an.
Und plötzlich war sie wieder da – die Angst, dass nichts mehr so sein würde wie damals. Vor dem nächsten Lauftraining hatte ich Bedenken und Sorge, dass mein Fuß wieder wehtat.
Ab diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass ich meinen Wiedereinstieg nicht als persönlichen Wettkampf, sondern als eine neue Chance sehen sollte. Scheinbar wurde mir das Privileg auferlegt, dass mein rechter Fuß nochmal erneut laufen lernen darf. Zumindest habe ich diesen Gedanken lieben gelernt ...
3. Akzeptanz und passende Laufstrategie
... und akzeptiert. Die dritte Phase des Wiedereinstiegs begann. Mit der Akzeptanz kam auch die Motivation wieder zurück und mein Lauftraining folgte nun einer Strategie – meiner eigenen. Ab sofort lief ich mit Einlagen (die ich bis dahin gekonnt ignoriert hatte), lief in meinen neusten Laufschuhen und ohne spezifische Trainingspläne. "Mein Körper wird das schon regeln", dachte ich mir. Diese Einstellung und das Vertrauen in mich selbst taten mir gut.
Ich lief langsam. Bewusst. Befreit. Glücklich. Nach 2-3 Kilometern machte ich einen bewussten Check-In mit meinem Fuß: geht es ihm gut? Tut er weh? Ein anschließendes ja und nein ließen mich bis Kilometer 5 weiterlaufen. Bis zum heutigen Zeitpunkt lief es 7 Kilometer am Stück. Nach 8 Monaten. De facto 1:30 - 2:00 Minuten langsamer pro Kilometer, als ich es gewohnt war. Ich lief. Ich war wieder am Laufen und glücklich.
Wie schnell kommt die Kondition zurück?
Dein Körper erinnert sich an die Leistungsfähigkeit, die er vor einer Laufpause aufgebaut hat. Wie schnell die Kondition wieder zurückkommt hängt von dem Grund der Laufpause ab. Eine schwere Erkältung, die den Körper schwächt und im schlimmsten Fall Herz und Lungen angreift, benötigt mehr Zeit als eine Überlastung der Beinmuskulatur. Im Schnitt würde ich vier bis acht Wochen einplanen, die der Körper benötigt, bis er zur alten Kondition zurückfindet. Trainingsumfang- und Intensität spielen natürlich ebenso eine Rolle.
Ich persönlich habe in meiner Laufpause viel alternatives Cardiotraining auf dem Crosstrainer oder dem Spinning-Fahrrad absolviert, sodass ich mit der Kondition wenig Probleme habe. Das Durchhalten und langsame Kraftaufbau in den Sehnen sind für mich eine absolut große Herausforderung. Deshalb: Die Kondition wird nie ganz verschwunden sein, man kann sie relativ schnell wieder zurückgewinnen. Das ist ein Aspekt, der mich sehr viel Druck aus allem herausgenommen hat. Mein Appell an euch: macht euch nie große Sorgen über eure Kondition, wenn ihr Wochenlang ausgefallen seid – sie kommt wieder.
Epilog: Von der Chance, nochmal laufen zu lernen
Ob meine Stabilität im Fuß und die Belastbarkeit der Sehnen wieder zurückkommt, die Frage stelle ich mir bis heute. Viele Tage lassen mich hoffen, andere hingegen zweifeln.
Ich sehe das "neue" Laufen mittlerweile als Chance. Als Chance, Dinge bewusst anders zu machen. Diese Dinge müsse nicht gleich besser oder schlechter sein, wer weiß das schon. Am Ende zählt für mich, dass ich laufen kann. Und wenn das für die "neue Nele" bedeutet, nie mehr einen Halbmarathon laufen zu können und die "alte" Geschwindigkeit nur noch in den Statistiken meiner Lauf-App steht, dann kann ich damit leben. Viel lieber lebe ich mit diesen wertvollen Erkenntnissen und der Akzeptanz, als ohne das Laufen leben zu müssen.
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