Geplant, gefreut, gescheitert – mein sechster Wings for Life Run in Folge sollte für mich nicht stattfinden. Über Emotionen am Wettkampftag und was ich als Läuferin versuche, endlich mental umzusetzen

Nicht beim Laufwettkampf starten – (m)eine Achterbahnfahrt der Gefühle
Mittlerweile sollte man meinen, ich sei ein absoluter Profi darin, wie ich mental damit zurecht komme, einen Wettkampf nicht laufen zu können. Nach der sehr langen Verletzungspause, die meinen Fuß betrifft, ist ein jeglicher “Did not start” doch wohl ein Kinderspiel. Kurz fallen, weinen, weitermachen. Doch an dieser Stelle bin ich leider kein Kind. Sondern eine erwachsene Person, die damit kämpft, wie man den Gedanken “Dieser Lauf sollte doch für mich mein Comeback werden” in eine andere Richtung lenken kann, die weniger schmerzlich ist.
Wer hätte gedacht, dass mich nicht primär mein Fuß davon abhält, beim Wings for Life World Run an den Start zu gehen, sondern eine richtig fiese Grippe. Ja, ich auch nicht.
Ich hatte mir jegliche Pläne zurechtgelegt, wie ich laufen kann, wenn mein Fuß wieder zwickt. Dass ich auch gehen könnte, wie viel Kilometer machbar wären und ganz egal, bei welcher zurückgelegten Distanz ich am Ende lande – ich wäre glücklich und zufrieden. Einen Plan für eine Grippe, die mich sogar davon abhält, überhaupt an der Startlinie zu stehen, hatte ich nicht. Keine Startlinie, kein Catcher Car.
Doch warum entsteht mental so ein großes Chaos im Kopf, wenn Läufer:innen nicht teilnehmen können? Das habe ich mich auch gefragt und erstmal meine Tränen getrocknet. Schließlich war es nicht mein erster Laufwettkampf, den ich absagen musste. Davor gab es schon zwei in meinem Leben, bei denen ich angemeldet war und aus gesundheitlichen Gründen nicht starten konnte. Fair enough.
Als ich Sonntagmorgen wusste, dass der Lauf für mich persönlich nicht stattfinden wird, habe ich erstmal viel geweint. Geflucht. Mich geärgert.
Ich war wütend. Wütend, dass mir diese Chance verwehrt wurde. Ich hatte mich so gefreut.
Der Wings for life world run hat eine sehr wichtige Bedeutung für mich. Abgesehen von dem genialen Konzept und der Mission dahinter, ist der Lauf auf privater Ebene ein fester Anker in meinem Läuferinnen-Leben. Er bildete die Basis für viele Wettkämpfe, die daraufhin folgten:
Der WFL run war meine erste Laufveranstaltung in München
Als ich 2016 nach München gezogen bin, war der WFL run mein erster Lauf im Jahr 2018. Ich durfte das Event mit all den Red Bull Athlet:innen genießen, habe ein Interview mit Florian Neuschwander führen dürfen und das erste Mal Konstanze Klosterhalfen kennengelernt. 16 Kilometer standen am Ende auf meiner Laufuhr, bei unfassbar heißen 27 Grad in München.
Jeder WFL run hat mich durch eine schwierige Zeit begleitet
Ende 2018, Anfang 2019 hatte ich meinen ersten mentalen Breakdown. Erschöpfungsdepression Runde 1.
Ich ging zur Therapie, nahm Medikamente ein und musste mein Leben umstrukturieren. Panikattacken gehörten zu meinem Alltag dazu. Obwohl ich nicht einmal mehr wusste, ob ich 2019 überhaupt mitlaufen kann, lief ich. Die Angst stets an meiner Seite. Am Ende war ich stärker.
2020 Corona. Der App Run. Ich lief. 2021, ich lief. 2022, nach meiner Corona-Infektion und vor meinem nächsten großen Zusammenbruch: ich lief.
Und für 2023 hatte ich gleiches vor. Leider wurde daraus nichts.
Diese Laufveranstaltung lebt in meinen Erinnerungen wie kaum etwas anderes, was ein Did not start um einiges schwieriger macht.
WFL run ist mental ein Gamechanger
Für mich persönlich ist der WFL run eine einzigartige Möglichkeit, ohne Erfolgsdruck laufen zu können. Es geht um die Möglichkeit und das Privileg per se, überhaupt laufen zu können, grandiose Läufer:innen zu treffen und sich selbst zu beeindrucken.
Jedes Mal war ich glücklich über meine gelaufene Distanz und mir wurde bewusst, wozu mein Körper und ich in der Lage sind. Mental betrachtet ist der WFL run wirklich ein Gamechanger. Genau diese Gelegenheit brauchte ich, um wieder smart in das Laufen hineinkommen zu können.
Eine Sache hat mich persönlich noch mehr mitgenommen: Dieser Lauf 2023 sollte der erste gemeinsame Lauf mit meinem Freund werden. Und es war sein allererster Lauf überhaupt! Dass ich kein Teil davon sein kann und alles ins Wasser fällt, brach mir das Herz. Spoiler: Er lief trotzdem mit. Für mich. Ohne es mir vorher zu sagen. Ich war selten so glücklich, stolz und traurig zugleich.
Laufwettkampf absagen müssen – was wir lernen können
Die Erinnerungen sind hervorgerufen, die Bedeutung erklärt und meine Emotionen habe ich auf ein virtuelles Blatt Papier gelegt. Was machen wir nun mit all den Informationen? Naja – wir lernen daraus.
Der Entschluss am Sonntagmorgen, dass ich nicht starten werde, fiel mir relativ leicht. Ich würde niemals mehr meine Gesundheit aufs Spiel setzen. Entscheidungen treffen zu müssen, die negative Gefühle mit sich ziehen, sind immer sehr unangenehm. Aber: Es sind die stärksten Entscheidungen. Dass ich wieder einmal sehr stark war und das Richtige getan habe, war die halbe Miete. Da war keine Unsicherheit. Der “was wäre wenn, …?”-Gedanke ist natürlich präsent gewesen. Allerdings wusste ich, dass die Antwort darauf nicht gut gewesen wäre. Wäre ich an den Start gegangen, hätte sonst etwas passieren können.
Jeder “did not start” ist eine Chance, stärker zu werden. Natürlich werde ich auch noch 5 Tage nach dem Lauf daran denken, wie schade es für mich gewesen ist, dass mich das Catcher Car nicht eingeholt hat. Ich konnte nicht mit all meinen Läufer:innen aus der Community am Start stehen. Und ganz ehrlich: Social Media macht es einem nicht leichter, von all dem Abstand zu nehmen und mit seiner Entscheidung zufrieden zu sein. All die Impressionen und Fotos zum sporadischen “Medal Monday” sind am Ende trotzdem ein kleiner Stich ins Herz, den ich merke. Nach fünf Minuten ist der Schmerz dann wieder passé.
Am Ende ist es wichtig, die Umstände und die Situation akzeptieren zu können. Eine Nichtteilnahme ist kein Aufgeben, keine Niederlage. Es fühlt sich zwar in dem ersten Moment genauso an, da die Gefühle ziemlich ähnlich sind. Das ist das Gemeine. Unser Körper weiß gar nicht zu unterscheiden, was genau die Auslöser sind. Wenn der Belohnungsreiz ausbleibt, dann findet ein Entzug von Dopamin statt. Ob das Ausbleiben einen sehr plausiblen Grund hatte, ist unserem Körper egal. Deshalb ist das eigene Mindset so wichtig! Letzten Endes entscheidet der Kopf über Sieg oder Niederlage. Und ich arbeite daran zu begreifen, dass für mich die Nichtteilnahme ein wahrer Sieg der Stärke und Einsicht ist.
コメント