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Laufen und die Sache mit „den Kopf frei kriegen“ – stimmt das wirklich?

Viele Läufer:innen erzählen, dass Laufen den Kopf frei macht. Das dachte ich auch eine lange Zeit, bis ich bemerkt habe, dass das Laufen alles andere mit uns macht, außer den Kopf frei. Eine kritische Auseinandersetzung – beyond the runners’ feelings.

Nele in Laufkleidung,s chaut nach oben. Dort steht ein Laufspruch.
Was steckt hinter dem Laufspruch "den Kopf frei bekommen"


Running allows me to set my mind free. Nothing seems impossible. Nothing unattainable. — Kara Goucher

Dieses Zitat spricht von der Freiheit, die das Laufen bietet. Eine Freiheit, die sowohl geistige als auch physische Grenzen überwindet. Es ist eine Zeit, in der man alles erreichen kann, eine Pause vom Alltag, die es uns ermöglichen kann, über das Hier und Jetzt hinaus zu denken. Oder jedoch – gar nicht zu denken.


Laufen – das passiert in unserem Kopf


Rein psychologisch und neurologisch betrachtet, passiert in unserem Gehirn folgendes:


Aerobe Übungen, wie Laufen, können die Neurogenese anregen, also die Bildung neuer Neuronen im Gehirn, insbesondere im Hippocampus, einer Region, die mit Lernen und Gedächtnis assoziiert wird. Diese neu gebildeten Neuronen tragen dann dazu bei, dass unsere kognitive Klarheit verbessert wird – insbesondere nach regelmäßiger und intensiver körperlicher Bewegung. 

Rein mechanisch passiert in unserem Kopf also ganz schön viel und alles andere als “Freiheit” – oder? (Quelle)


Nunja – Regelmäßiges Laufen kann ebenso zu einer besseren emotionalen Regulation und erhöhter mentaler Flexibilität führen. (Quelle)

Das hat zur Folge, dass es uns Läufer:innen ermöglichen kann, schneller zwischen verschiedenen geistigen Aufgaben zu wechseln und neue Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Ein klares Indiz dafür, dass wir während des Laufens vielleicht sogar im Stande sind, auf neue Ideen zu kommen. Manchmal denke ich beim Laufen über die Arbeit nach, ohne dass ich es will – und manchmal kommen mir währenddessen neue Ideen. Und plötzlich ist mein Kopf danach etwas freier. 


Was uns das Laufen ermöglichen kann, ist, dass es uns den Moment leben lässt. Und ich denke, das meint Kara Goucher mit ihren Worten. 


Kritik: Laufen macht doch gar nicht den Kopf frei!


Beim Laufen können wir uns besser auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren, was Ablenkungen von außen reduziert. Diese Fokussierung auf den eigenen Körper und die Umgebung, das Zählen der Atemzüge oder das Setzen von Schritten kann helfen, den Geist von grübelnden Gedanken zu befreien –  setting the mind free. 


Laufen macht den Kopf frei – wenn wir das Ganze mal kritisch betrachten, dann stimmt das natürlich nicht. In unserem Kopf tummeln sich immer Gedanken, Szenarien, Ideen; ob bewusst oder unbewusst. 

Für manch eine:n kann das Laufen sogar aufgrund der körperlichen Anstrengung weniger bereichernd sein und  zu Erschöpfung führen, was die geistige Klarheit eher trübt als fördert.


Auch wenn wir Laufen als Ablenkung sehen, ist das eher Schein als Sein. Denn nein – Laufen löst langfristig gesehen einfach keine Probleme. Womöglich fokussieren wir uns manchmal beim Laufen sogar eher auf die Beschwerden anstatt auf die Entspannung – und plötzlich klingt all das nicht mehr nach “Kopf frei kriegen”; nicht wahr?



Beyond the runners’ feelings – das steckt hinter dem Satz “Laufen macht den Kopf frei”


Zugegeben – das war nun eine sehr kritische Betrachtung der Floskel. 


Was viele Läufer:innen meinen, wenn sie davon sprechen, ist, dass sie abschalten können.

Sie können den hektischen Alltag hinter sich lassen, die Arbeit im Job kurz vergessen und einmal kurz durchatmen. Laufen befreit, weil es uns fühlen lässt. Während wir uns sportlich betätigen, fokussieren wir uns weniger auf anderes und viel mehr auf uns und unseren Körper. Wir denken also nicht Nichts. Wir fühlen nur einfach viel mehr. 

Das beste Beispiel ist das Runners’ High danach.  Dieser Zustand wird oft als euphorische Entspannung beschrieben, der nach intensiver körperlicher Betätigung auftritt. Er wird teilweise den Endocannabinoiden zugeschrieben, die das Gehirn während des Laufens freisetzt und die die Blut-Hirn-Schranke überwinden können, um ein Gefühl der Euphorie zu erzeugen​ – noch mehr runnnerfeelings! 


“Laufen macht den Kopf frei” ist natürlich eine Metapher. Es bedeutet oft, dass Laufen eine Pause vom Alltag bietet, eine Zeit, in der man weniger über alltägliche Probleme nachdenkt und stattdessen eine Form von physischer und mentaler „Auszeit“ genießt. Diese Zeit kann dazu genutzt werden, um nachzudenken oder einfach nur, um den Moment der Bewegung zu genießen. In diesem Sinne ist das „Kopf freimachen" weniger eine literale Befreiung von allen Gedanken als vielmehr ein temporäres Entkommen aus dem täglichen mentalen Stress und den Routinen.

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