Mensch vs Maschine im Laufsport? Roboter beim Halbmarathon in Peking
- Nele Doerk
- 22. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Stell dir vor, du stehst an der Startlinie deines ersten Halbmarathons – und neben dir steht ein Roboter. Du bist ohnehin schon aufgeregt genug, jetzt bist du noch zusätzlich verwirrt. Der Anblick von Metall in Menschengröße lässt dich schmunzeln.
Plötzlich stehen wir als Läufer:innen neben Wesen, die keinen Schmerz kennen und keine eigene Motivation brauchen. Was macht das mit uns?

Halbmarathon mit Humanoiden: Laufen wir bald neben Gefühlslosen?
Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction aussieht, ist Realität geworden. Am 19. April 2025 starteten neben 10.000 Teilnehmenden beim Peking Halbmarathon 21 Roboter, sogenannte Humanoide – zu Forschungszwecken, versteht sich.
Die Maschinen hatten dabei (vorerst) keine Chance – der schnellste Roboter brauchte nämlich gut doppelt so lang wie der schnellste Mensch, nach 2:40h lief er ins Ziel. Doch allein die Tatsache, dass Roboter überhaupt mitlaufen, verändert die Perspektive auf das gesamte Lauferlebnis.
Ich. Habe. Fragen.
Was bedeutet menschliche Leistung im Laufsport?
Ich weiß nicht, wie ihr einen Halbmarathon betrachtet und fühlt: Ich sehe ihn als emotionales Event, 21.1 Kilometer voller Euphorie, Schmerz, Motivation und … runnerfeelings.
Ein Halbmarathon ist für uns Läufer:innen auch deshalb eine Leistung, weil er uns etwas abverlangt – körperlich und mental. Ein Roboter kennt keinen Muskelkater, kein schnelles Atmen, keine Erschöpfung. Er läuft, weil er so programmiert wurde, ohne Leiden und ohne Willenskraft.
Was bedeutet unsere menschliche Leistung, wenn Maschinen ohne Schmerz und ohne Motivation dieselbe Strecke laufen können?
Im ersten Moment fühle ich mich auf eine Art angegriffen, ein wenig gekränkt.
Wenn eine Maschine das scheinbar mühelos schafft, worauf wir monatelang hintrainiert haben, fühlt sich unsere Anstrengung plötzlich kleiner an. Ein bisschen so, als würde jemand unser hart erkämpftes Erfolgserlebnis einfach abwinken.
Ist es überhaupt noch etwas Besonderes, 21 Kilometer zu laufen, wenn „jeder Roboter“ das tun könnte? An dieser Stelle komme ich mir absolut dumm vor – vergleiche ich mich gerade mit einer Maschine?
Ich tue das mittlerweile nicht mal mehr mit Menschen und laufe nach meinem Gusto. Der Mensch vs. Maschine Vergleich im Laufsport erscheint paradox – außer, wir kehren ihn um.
Was ein Humanoid uns im Laufsport lehren kann
Gerade weil der Roboter keinen Schmerz spürt, ist doch unsere Fähigkeit, trotz Schmerzen oder Motivationstief weiterzulaufen, umso bemerkenswerter.
Eine Maschine muss nicht mit Seitenstechen kämpfen oder sich überwinden – fair enough. Wir schon. Unser Leistung besteht nicht nur aus der Distanz, sondern aus all den Emotionen, die eine Maschine niemals aufbringen kann.
Der Roboter läuft die 21,1 Kilometer, aber er erlebt sie nicht – vermute ich. Sondern, weil sie so programmiert wurden. Und eigentlich müsste uns jetzt wieder bewusst werden, dass wir eben keine Maschinen sind – weder im Sport, noch beim Abrufen unserer Leistungen, noch im Job.
Läufer vs Maschine: Vergleich oder Selbsterkenntnis?
Trotzdem ertappen wir uns vielleicht bei einem mulmigen Gefühl: Wird der Wettlauf Mensch gegen Maschine irgendwann ernst? Sorry für das Wortspiel, doch ich schmunzel noch immer über die Worte, die ich gerade tippe...
Wie würde sich unser Verständnis von Motivation verändern, wenn Roboter eines Tages "objektiv besser" laufen könnten als wir? Würden wir dann überhaupt noch antreten wollen?
In solchen Momenten wird für mich eine Frage, die ich selbst immer wieder predige, relevant: Warum laufen wir eigentlich? Bin ich motiviert durch Vergleich – oder durch Selbsterkenntnis?
Laufe ich, um schneller zu sein als andere – selbst wenn die „anderen“ plötzlich Maschinen ohne Schmerzen und Limits sind? Oder laufe ich, um mich selbst besser kennenzulernen, meine eigenen Grenzen zu verschieben und etwas in mir zu entdecken?
Viele von uns vergleichen sich beim Laufen mit anderen Läufer:innen Wir schielen auf die Pace, die Platzierung in der Ergebnisliste oder die gelaufenen Kilometer auf Strava.
Wettbewerb kann antreiben – oder ausbremsen. Doch was, wenn die Konkurrenz keine Gefühle hat und uns objektiv übertrumpft? Würde das unseren Antrieb zerstören?
Ich glaube, ganz im Gegenteil: Vor allem weil wir in der Leistungsgesellschaft so getrieben davon sind, stets besser zu sein. Komme wer oder was wolle.
Wenn mein Ansporn allein daraus käme, schneller zu sein als jemand anders, stünde ich plötzlich vor einem Motivations-Vakuum, sobald dieser „Jemand“ eine Maschine ist, die ich nie besiegen kann.
Und dann? Es könnte vielleicht folgendes passieren:
Der Roboter neben uns kann befreiend wirken. Er zwingt uns vielleicht, die eigene Motivation zu hinterfragen und neu zu justieren. Statt im ständigen Vergleich zu leben, können wir uns auf unser eigenes Erlebnis konzentrieren.
Warum läufst du? Die Antwort auf diese klassische Läuferfrage war für mich noch nie „um besser als eine Maschine zu sein“, dann wäre RUNNERFEELINGS ja eine glatte Lüge.
Der Vergleich mit anderen – ob Mensch oder Maschine – tritt in den Hintergrund, wenn ich begreife, dass mein eigentliches Rennen nicht gegen mich, sondern mit mir läuft.
Fazit: Was bedeutet das Laufen für uns?
All diese Überlegungen führen zu (m)einer wichtigen Frage: Was bedeutet das Laufen dann noch für uns – als Aspekt der Freiheit, der Selbstentdeckung und des Körperbewusstseins? Kein Roboter der Welt kann runnerfeelings nachempfinden. Wenn wir laufen, erleben wir etwas zutiefst Menschliches. Freude, Schmerz, Stolz, Zweifel – und überwinden ihn aus eigenem Antrieb.
Und vielleicht, ganz vielleicht, hinterfragt solch ein Erlebnis unsere eigenen Beweggründe:
Laufe ich, um schneller zu sein als andere – oder um etwas in mir zu entdecken?
Bin ich motiviert durch Vergleich, durch Sieg – oder durch Selbsterkenntnis?
In unserer Welt, in der Maschinen objektiv „besser“ werden könnten, bekommt die Frage „Warum laufe ich?“ eine tiefere Dimension. Vielleicht wird Motivation neu definiert – weg vom Wettbewerb, hin zur wahren Lauffrage, die uns beschäftigt.
Am Ende können wir uns entscheiden: Werfen die Roboter in Peking ein kaltes Licht auf menschliche Leistung, oder vielmehr ein erhellendes?
Anmerkung:
Mir ist durchaus bewusst, dass es bei dem Laufevent nicht um ein Wettrennen im Sinne von Mensch vs Maschine ging – aber hey, es wird so ausgelegt, also dürfen wir es durchaus so betrachten und hinterfragen.
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