Wir Läufer:innen gehen (oder laufen) sehr gerne die extra Meile, wenn es um das eigene Glücksgefühl beim Laufen geht. Ab wann wird Selbstüberschätzung beim Laufen gefährlich? Ich habe da ein paar persönliche Einblicke
Das Laufen und das falsche Einschätzen der Leistung
Zuerst das Wichtigste: Ja, ich bin der absoluten Überzeugung, dass ich einen Artikel dieser Art gemäß meiner Lauferfahrungen schreiben kann und darf – und sollte. Alles, was ihr gleich lesen werdet sind eigene Erfahrungen, teilweise Ausschnitte aus Dialoge mit Ärzten und natürlich Gedankenschnipsel meinerseits. Selbstüberschätzung beim Laufen – ist das überhaupt möglich? Wir können doch einfach die Stop-Taste drücken sobald wir bemerken, dass ein Lauf in die falsche Richtung geht und wir uns körperlich nicht mehr gut fühlen. Nunja – ganz so einfach ist das leider nicht.
Selbstüberschätzung beim Laufen – die Symptome
Hochroter Kopf, Herzschlag bis in den Hals, die Beine zittern, der Blick verliert den Fokus, Schwindel – mindestens eines dieser Symptome hatte jede:r Läufer:in schon einmal von uns. Und ganz ehrlich: ich bin der Meinung, dass zumindest ein hochroter Kopf und zittrige Beine ab und zu nicht schlimm sind. Ich kenne das bei plötzlichen Wetterumschwüngen, der bei mir in den Kopf geht und sich vor allem auf meine Beine auswirkt. Kann und darf beim Laufen mal passieren.
In der Regel sind solche Signale Anzeichen von Überlastung: Von dem Körper wird mehr gefordert, als er zu diesem Zeitpunkt leisten kann. Bewusst erkennen möchte man das Ganze nicht. Die Folge: Man geht an seine Grenzen oder darüber hinaus. Aber ist es denn so verkehrt, hin und wieder an seine Grenzen zu gehen? Natürlich nicht! Vor allem beim laufen ist ein „an die Grenzen gehen“ wichtig, damit sich der Körper weiterentwickeln kann, sich die Laktatschwelle verschiebt und auch die Muskulatur gestärkt wird.
Wie bei so vielem im Leben kommt es natürlich auch hier auf die Balance an.
An alte Lauferfolge anknüpfen führt zur Selbstüberschätzung
Warum das passiert? Dafür gibt es viele Gründe. Laufen gibt mir (vor allem in den Zeiten von Corona) die Freiheit, die alle so sehr suchen. Ich sehe es als Chance, jederzeit laufen gehen zu können und genieße das auf ganzer Linie. Aber Körper und Geist stehen ja meistens nicht im Einklang. Während ich also versuche, so viel wie möglich zu trainieren und an alte Lauferfolge anknüpfen möchte denkt sich mein Körper „Langsam, Nele. Ich sehe, wo du hin möchtest aber bitte – gib uns Zeit.“ Das Wissen um alte Bestzeiten, weite Distanzen und etlichen Runnershigh’s führt dazu, dass wir ziemlich schnell ziemlich alles geben möchten. Wir unterschätzen das eigene Tempo. Und überschätzen uns selbst.
Lauf-Gefühl für den Körper entwickeln und erkennen
„Run the extra mile“ – so bewundernswert und wahr dieser Spruch ist, so gefährlich kann er auch sein. Manchmal lohnt es sich, die extra Meile zu laufen. Manchmal jedoch auch nicht. Als ich vor einiger Zeit immer das Gefühl hatte, meine Pulswerte seien viel zu hoch und irgendetwas würde mich beim Laufen erdrücken, habe ich mit meinem Arzt darüber gesprochen. Er hat sich meine Werte angeschaut und mich gefragt, wie weit ich in welcher Zeit laufen kann. Schließlich meinte er: „Frau Dörk, sie können ohne stehenzubleiben 10 Kilometer locker in unter einer Stunde laufen. Da ist körperlich alles in Ordnung. Aber die Psyche spielt eine weitaus größere Rolle, als uns manchmal lieb ist.“ Ja, Recht hat er. Was ich damit sagen möchte? In den meisten Fällen erkenne ich den Unterschied zwischen Körper und Psyche und weiß, dass ein „erdrückendes Gefühl“ nicht körperlicher Natur sein muss. Aber: Auch dieses Gefühl entsteht durch Selbstüberschätzung. Es ist immer besser, als einmal mehr auf die Pause-Taste zu drücken, als einmal zu wenig. Diese Erkenntnis dauert. Lange. Aber je eher wir das Laufen einmal mehr hinten anstellen, desto schneller erkennen wir die Bedürfnisse unseres Körpers.
Warum überschätzen wir uns beim Laufen?
In den letzten Wochen bin ich ziemlich viel und ziemlich oft gelaufen. Laufpausen wollte ich nicht machen, das Verlangen, meine Laufschuhe zu schnüren war einfach stärker. Ich habe mich gefragt, was in mir vorgeht. Denn eine Sache sagte ich mir immer wieder: „Wenn ich nicht laufen gehe, geht es mir nicht so gut. Ich brauche das Laufen.“ Und auch dieser Gedanke ist ein Zeichen von Selbstüberschätzung: zu erwarten, der Körper kann das viele Laufen schon kompensieren, dass Laufpausen nicht wichtig sind und dass ein „ich laufe langsam und nicht schnell, dann wird das schon“-Gedanke das Ganze auch nicht besser macht. Ich überschätzte mich. Mal wieder. Doch die gute Nachricht ist, dass sich für alles eine Lösung finden lässt.
Selbstüberschätzung beim Laufen - ab wann wird es gefährlich?
Wenn man sich bereits vor dem Laufen schon nicht wohl fühlt, dann könnte das bereits das erste Warnsignal sein. Warum könnte? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es mir oftmals beim Laufen dann gleich viel besser geht und sich das vorherige „Ich fühle mich nicht gut“-Gefühl bloß als Schein entpuppt. Aber es kann auch anders ablaufen. Wenn die Herzfrequenz in die Höhe geht und die Kraft in den Beinen einen verlässt, dann sollte man stoppen. Ich selbst zögere dieses Ende immer weiter hinaus um mir selbst zu beweisen, dass da noch was geht. Im schlimmsten Fall wird mir dann schwindelig. Ist alles schon passiert.
Was dann folgt sind etliche Diskussionen mit mir selbst, ich werde wütend, ärgere mich und bin traurig. All das hätte ich mir ersparen können, wenn ich den Lauf sofort abgebrochen hätte. Aber zu diesem Zeitpunkt wollte ich alles, außer aufgeben. Was ich daraus lerne? Perspektiven wechseln und das Ganze nicht als „aufgeben“ zu betrachten. Am Ende habe ich gelernt, ein noch besseres Bewusstsein für mich und meinen Körper zu erlangen. Und das ist dann garantiert keine Selbstüberschätzung.
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